066 Anamnese für Coaching und psychologische Beratung

Anamnese für Coaching und psychologische Beratung

„Anamnese? Ich dachte, das braucht man nur in der Psychotherapie oder beim Arzt?“ fragen manche KollegInnen erstaunt, wenn ich darüber spreche, wie wichtig das Erfassen von Hintergrundinformationen für Coaching ist.

Weder in der Ausbildung zum psychologischen Berater noch zu Beginn meiner Coaching Karriere hat mir irgendjemand beigebracht, wie und wofür ich eine kurze knackige Anamnese machen kann. Selbst in der EMDR Ausbildung an einem renommierten Institut wurde vorausgesetzt, dass ich das bereits konnte durch meine vorherigen Ausbildungen. Nun ja, wenn alle voraussetzen, dass man es irgendwo gelernt hat… Verrückt eigentlich. Der heutige Beitrag soll dir eine Orientierung zu dem Thema geben, für dessen gute Lösung ich jahrelang brauchte: eine kurze, knackige und hilfreiche Anamnese.

Wir sprechen darüber

  • Was Anamnese überhaupt ist
  • Wieso eine Anamnese nicht nur für Heilpraktiker (Psychotherapie), sondern auch im Coaching und psychologischer Beratung sinnvoll ist
  • Was du dazu wirklich brauchst und was nicht

Am Ende hast du einen guten Überblick, wie Anamnese funktioniert, was sie beinhalten und wie kurz sie sein sollte.

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Shownotes zu Folge 066

Das Thema Ressourcen kannst du bereits in der Anamnese ansprechen. Mehr zu Ressourcenarbeit hier: 058 Warum Ressourcenarbeit das A und O im Coaching ist

Mehr über die Ausbildung im EMDR Coaching

Skript: Anamnese für Coaching und psychologische Beratung

Was heißt eigentlich Anamnese?

Vielleicht ist das Wort Anamnese im allgemeinen und medizinischen Sprachgebrauch eher bekannt als „Ermittlung der Vorgeschichte eines Patienten für medizinische Behandlung.“ Ein Patient ist zumindest der Wortbedeutung nach ein Leidender. Seine Vorgeschichte bezieht sich entsprechend auf seine Krankheiten, seine Leiden. Im Coaching und Beratung sind unsere Kunden Klienten, also Auftraggeber für Beratung und Unterstützung in einem speziellen Thema.

Anamnesis bedeutet im altgriechischen einfach „Erinnerung“. Diese ursprüngliche, wörtliche Bedeutung finde ich treffender und hilfreich.

Denn wenn ein Klient ins Coaching oder in die Beratung kommt, macht es aus meiner Sicht Sinn, sich einen kurzen und knackigen Eindruck zu verschaffen über den Hintergrund der Person.

Und in diesem Sinn möchte ich heute über Sinn und Unsinn einer Anamnese für Coaching und psychologische Beratung sprechen.

Ist Anamnese für Coaching und Beratung sinnvoll?

Klienten kommen zu uns mit einem konkreten Anliegen oder Thema. Z. B. Prüfungsangst verlieren, besser durch eine bevorstehende Ehekrise oder Scheidung navigieren, Mobbing am Arbeitsplatz o.ä.

  • Guten Kontakt und Vertrauen aufbauen für beide Seiten. Der Fachbegriff ist hier „Rapport“ (französisch für Beziehung, Verbindung). Auf einfache Art eine tragfähige Klienten-Coach-Beziehung schaffen.
  • Sich einen schnellen Überblick verschaffen über den Coaching-relevanten Hintergrund des Klienten
  • Einen Überblick über Fähigkeiten zu Selbstregulation, Entspannung und Ressourcen. Denn ohne diese wird Coaching und Beratung zäh und vielleicht sogar aussichtslos. Dann müsste man ggf. ein paar Schritte zurück und daran zuerst arbeiten.
  • Grenzen checken bezüglich medizinischer oder psychiatrischer Kriterien, ggf. weiter vermitteln.
  • Wahl des Coachingzeitpunkts für alle Beteiligten richtig bestimmen.

Mit diesem systematischen Vorgehen stellst du sicher, dass ihr keine unliebsamen Überraschungen im Rahmen des Coachings erlebt.

Das sind ca. 20 Minuten, die sich lohnen. Viel länger braucht die Coaching Anamnese nicht zu dauern. Daher übe, kurz und knackig zu fragen!

Vor der Anamnese

Vorneweg:

Die Anamnese und die Zielvereinbarung sind zwei paar Schuhe. Natürlich kannst du das in einer Sitzung zusammenfassen. Heute geht es jedoch ganz allgemein nur um die Anamnese. Ziele und Zielvereinbarung ist ein separates Thema.

Ich halte es so, dass der Klient sein Thema, also Ziel des Coachings insgesamt festlegt sowie grundsätzlich separat das kleinere Ziel für die jeweilige Sitzung.

KlientIn hat sich bereits vorbereitet nach unserem ersten Telefongespräch und sich das Wichtigste notiert im Hinblick auf das Thema.

Das sprechen wir zuallererst durch. Manches kann ich bereits in die Anamnese übertragen an die richtige Stelle. Danach ergänze ich durch Fragen, was mir noch zum nötigen Gesamtüberblick fehlt.

Was solltest du in der Anamnese erfragen?

Ich empfehle die vier Themenbereiche zu checken:

  1. Allgemeine Infos wie Name, Datum, vorangegangene Beratungen, Coachings oder Therapien (nur Stichworte) sowie Überlegungen zum idealen Coaching Zeitpunkt.
  2. Ressourcen wie z. B. Entspannungstechniken, Selbstregulationstechniken, unterstützende Faktoren im Alltag, Stabilitätsfaktoren.
  3. Abgrenzungsfragen zum medizinischen und psychiatrischen Bereich, um sicher zu stellen, dass du der richtige Ansprechpartner für das Thema ist. Ggf. Symptome abklären lassen durch Arzt oder Psychologen/Psychiater. Auch das Thema Medikamente und Drogen sollte kurz angesprochen werden sowie die Frage nach Gefahr für sich selbst oder andere.
  4. Systemische Aspekte: ein paar Eckdaten zur Ursprungsfamilie, Gegenwartsfamilie und aktueller Beziehungssituation.

Anamnese fuer Coaching und psychologische Beratung. Grafik by Kathrin Stamm

Es gibt noch einen fünften Bereich, der für mich auch mit in die Anamnese gehört:

Die Frage nach dem „Problemvorteil“. Im Fachjargon auch „sekundärer Gewinn“ genannt. Welchen Nutzen bringt das Problem oder die Herausforderung? Tritt ein neues, größeres Problem zu Tage, wenn es gelöst wird? Denn wenn es hier ein neues größeres Problem lauert, ist das zuerst dran. Dann würde sich KlientIn beim ersten Wunschthema erfolglos abstrampeln. Das kannst du euch beiden ersparen. Ein Beispiel: Eine Frau hat neuerdings Angstzustände, wenn sie im großen Einkaufszentrum Großeinkäufe machen will und gelegentlich auch zu Hause, wenn ihr Mann da ist. Wenn das gelöst ist, würde der Mann nicht mehr so viel helfen und liebevoll für sie sorgen. Das wäre dann das erste Thema, das sinnvoll anzugehen wäre. Vorausgesetzt, sie hat ärztlich abgeklärt, dass keine medizinischen Gründe für ihre aktuellen Angst Symptome vorliegen.

Übung macht auch bei der Anamnese den Meister

Du merkst schon, so ein Vorgehen will geübt sein, wenn es kurz und knackig sein soll. Kein stundenlanges Herumrühren in der Vergangenheit oder Themen, die nicht zum aktuellen Coaching-Thema gehören. Keine Zeitverschwendung.

Dadurch, dass Klienten die Coaching Stunden bezahlen, sind sie in der gerne Regel bereit, sich auf „kurz und knackig“ einzulassen und lassen sich auch gerne daran erinnern.

Einzelheiten zu den Fragen und Fragetechniken sind Bestandteil der EMDR Fortbildung. Ebenso einige gezielte Abklärungsfragen, wenn du mit bilateraler Stimulation der beiden Gehirnhälften (EMDR Elementen) den Coaching Prozess begleiten möchtest. Vor allem ist die praktische Übung ist ein wichtiger Ausbildungsbestandteil. Das, was mir damals gefehlt hat, biete ich nun anderen in aller Gründlichkeit an. Meist ist es direkt ein stärkendes Erfolgserlebnis, wenn die angehenden EMDR Coaches im gesteckten Zeitrahmen den knackigen Überblick bekommen.

Welche Anamnese benutzt du bisher? Ich bin ja auch neugierig und fände es sehr spannend, wenn wir unter diesem Beitrag deine Erfahrung dazu teilst. Lass uns Schwarmwissen zusammentragen.

Herzliche Grüße und bis demnächst

Kathrin (Stamm)

 

About the Author

Mach es DIR leichter anderen zu helfen! Mit diesem Motto hat Kathrin Stamm viele hilfreiche Tipps und Tricks auf Lager, wie du als Coach und Berater mehr Leichtigkeit in dein Leben und das deiner Klienten bringst. Hol dir die Praxistipps direkt aufs Ohr mit ihrem Podcast https://heartify.life/podcast-coachingoase

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